In vielen Kaffeehäusern sorgte nicht nur das Koffein für Nervosität unter den Gästen. Denn in vielen Städten ging es um viel Geld, das gewonnen und verloren wurde. Hier spielte die Musik der Spekulation: Es wurden Bestellungen aufgenommen, Kurse bekanntgegeben und Profite ausbezahlt. Bevor es feste Börsengebäude gab, war das Kaffeehaus oftmals das Finanzparkett der ersten Wahl. Viele Börsen legten ihr Fundament in Kaffeehäusern. Hier wurden die bis heute wichtigsten Wertpapierhandelsplätze der Welt gegründet oder trugen maßgeblich zu deren Aufstieg in den elitären Handelszirkel bei:

  1. New York – die Wall Street
  2. Amsterdam – die Kalverstraat
  3. London – die Change Alley

Für einen der wichtigsten Journalisten der Weimarer Republik, Siegfried Kracauer war das Kaffeehaus eine Börse für Spekulanten. Hier wurden, wie er in der Frankfurter Zeitung (17. April 1932) feststellte, aber „offenbar nur Werte gehandelt, die niedrig im Kurs stehen.“

Kaffeehäuser waren nach Ansicht des Börsen- und Finanzexperten André Kostolany (Buch: „Die Kunst über Geld nachzudenken“) der ideale, informelle Treffpunkt für Börsianer. Kostolany, der sich selbst als „großer Kaffeehaus-Amateur“ charakterisierte, sagte: „Schon vor dem 2. Weltkrieg wetteten wir im Kaffeehaus auf den Dow Jones Schlusskurs des Abends.“

Eines steht fest: Spekulation und Koffein waren die Motoren für einen Rausch, der viele Menschen auf der ganzen Welt fesselte.

New York - die Wall Street

Coffee Business in den USA

Auf einer Schafweide entstand die New Yorker Börse. Bevor es soweit war, trafen sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Händler im Exchange Coffee House (gegründet 1732) und dem Merchants Coffeehouse (1737).

Die Geburtsstunde der New Yorker Börse war ein Treffen am 17. Mai 1792 unter einer nordamerikanischen Platane, einem Buttonwood Tree –  in der 68 Wall Street.

Hier wurden die Preise für Aktien von zahlreichen New Yorker Privatbanken und Versicherungsgesellschaften genauso ge-handelt, wie Regierungsbonds und Anleihen großer Handelsgesellschaften.

Vierundzwanzig der führenden New Yorker Kaufleute tauschten sich aus, wie man Ordnung in das Wertpapiergeschäft bringen könnte. Am 17. Mai 1792 unterzeichneten diese Männer ein Dokument mit dem Namen „Buttonwood Agreement“, benannt nach ihrem Treffpunkt unter der Plantane:

„We the Subscribers, Brokers for the Purchase and Sale of the Public Stock, do hereby solemnly promise and pledge ourselves to each other, that we will not buy or sell from this day for any person whatsoever, any kind of Public Stock, at a less rate than one quarter percent Commission on the Specie value and that we will give preference to each other in our Negotiations.“

In Kurzform enthielt dieses „Buttonwood Agreement“ zwei Bestimmungen: 1) Die Makler durften nur untereinander handeln. Die Versteigerungen fielen weg. 2) Die Provision wurde auf 0,25 Prozent festgeschrieben.

Die Unterzeichner des Abkommens brauchten schon bald einen wetterfesten Ort. Das 1793 eröffnete Tontine Coffee House des neapolitanischen Bankiers Lorenzo di Tonti in der Wall Street war hierfür ideal. Es wurde zum ersten überdachten Sitz der neu gegründeten Maklerorganisation und war der Vorläufer der New Yorker Börse. Die Mittel für den Bau des Kaffeehauses wurden durch die Zeichnung von Aktien im Wert von 200 Dollar aufgebracht. Über 200 Aktien wurden an 157 Aktionäre ausgegeben.

Das Maklergeschäft fand in einem Raum des Tontine mit dem schönen Namen „High up under eaves“ statt, das so viel hieß wie „Hoch oben unter der Dachrinne“. An sonnigen Tagen wurden die Räumlichkeiten des Tontine gegen einen Open-Air-Handel auf dem Bürgersteig eingetauscht.

Das Tontine fiel 1835 einem Feuer zum Opfer.

Philadelphia und Boston – Finanzkapitalismus mit Koffein

Das Koffein förderte den Aufstieg des Finanzkapitalismus. Auch bei der im Jahr 1790 gegründeten Börse in Philadelphia, der ältesten Börse Nordamerikas, war die Kombination aus Hafen und Kaffeehaus die Initialzündung für die Börsengründung. Im Jahr 1754 sammelte der „Finanzier der Revolution“, Robert Morris (1734-1806), und weitere Geschäftsleute 348 Pfund. Sie eröffneten das London Coffee House in Philadelphia, das Kaufleute, Sklavenhändler und Unternehmer anzog.

Auch in anderen nordamerikanischen Städten, beispielsweise in Massachusetts, kamen Schiffskapitäne und Kaufleute in Kaffeehäusern zum Meinungsaustausch und Geschäftsverhandlungen zusammen.

Boston war die erste Stadt im Jahr 1808, in der das erste „Wolkenkratzer“-Kaffeehaus eröffnet wurde. Das Exchange Coffee House hatte sieben Stockwerke und bestand aus Stein und Marmor. Auf dem ersten Stockwerk des Exchange Coffee House – es wurde nach einem Jahrzehnt durch ein Feuer zerstört – handelten Schiffs- und Versicherungsmakler die einlaufenden Güter.

Amsterdam - die Kalverstraat

Veel Succes op de beurs oder das „Goldene Zeitalter“ in Holland

Niederlande erlebte im 17. Jahrhundert die wirt-schaftliche und kulturelle Blütezeit („de Gouden Eeuw“). Nach dem Ausbau Amsterdams um die Grachten zu Beginn des 17. Jahrhunderts, wurde die Stadt zur Wirtschafts-metropole. Sie verfügte nicht nur über den wichtigsten Hafen, sondern war auch das finanzielle Zentrum des Landes.

Amsterdam war die Stadt der Spekulation und stieg zum wichtigsten Handelszentrum Europas auf. Hier wurde auf steigende (bullmarket) oder fallende Kurse (bearmarket) gesetzt. Erstmalig wurden in Amsterdam im Jahr 1747 die Aktienkurse – eine Weltpremiere – öffentlich gemacht. Kursmakler und Verbindungsoffiziere, die zwischen den Maklern und der Kundschaft die Geschäfte anbahnten, warteten in Amsterdam nach Schilderung Kostolanys „in den benachbarten Cafehäusern auf die Börsenergebnisse.“

Die Börsenverhältnisse in Amsterdam zum Ende des 17. Jahrhunderts – insgesamt gab es um 1700 in Amsterdam 32 Kaffeehäuser – wurden im ältesten Buch über die Börse beschrieben. Joseph de La Vega (1650-1692) veröffentlichte das Buch „Die Verwirrung der Verwirrungen“ („Confusión de confusiones“) im Jahr 1688. 

„Unsere Spekulanten besuchen bestimmte Lokale, die, weil ein gewisses Getränk, genannt Coffy von den Holländern und Caffee von den Levantinern, verabreicht wird, Coffy-Huysen oder Kaffeehäuser genannt werden. (…) Betritt nun ein Haussemakler ein solches Kaffeehaus in den Börsenstunden, so wird er von den Anwesenden nach dem Kurs der Aktien befragt, er fügt 1-2 Prozent zum Tageskurs hinzu und zieht ein Notizbuch heraus, um fingierte Geschäfte einzutragen.“ (La Vega, Die Verwirrung der Verwirrungen)

London - die Change Alley

Englands coffeebusiness – mehr als eine Insel von Kaffeehäusern

Im Jahr 1663 zählte die City of London bereits 82 Kaffeehäuser – ein wahrer Boom, bedenkt man, dass das erste Kaffeehaus (Pasqua Rosee´s Head) erst kurz vorher (1652) eröffnet wurde. Vor allem in der Gegend Cornhill waren die Kaffeehäuser Umschlagsplatz von Finanznachrichten. Die beiden wichtigsten Kaffeehäuser für den Londoner Finanzmarkt waren das Jonathan´s und das Garraway´s.

Das Geschäft in den Kaffeehäusern florierte ab 1698, weil die Aktienhändler wegen rüpelhaften Benehmens aus dem Börsensaal der Royal Stock Exchange verwiesen wurden. Die Royal Stock Exchange entstand in London bereits 1571 nach dem Vorbild der handelsbeurs in Antwerpen. Hier wurde das erste Börsengebäude (1531) der Welt errichtet.

In London waren die rausgeworfenen Börsenhändler gezwungen nach einem alternativen Ort für den Handel Ausschau zu halten. Die Wahl fiel auf das kurz vorher eröffnete (1680) Jonathan´s Coffee-House. Dieses Kaffeehaus lag in der Change Alley – im 17. Jahrhundert hieß die Straße nur „the Alley“. Das Jonathan´s Coffeehouse war ein halbes Jahrhundert eine Art Ersatzbörse.

Erinnerungstafel an Garraways Coffeehouse in London 

Foto: © Tobias Hof

Im 17. Jahrhundert war in London eine dramatische Auktionsform gängig – vor allem im Garraway´s und Jonathan´s Coffeehouse. Das Bieten der Preise begann mit dem Anzünden eines kurzen Kerzenstummels. 1,2,3 – das Aktienpapier geht an… – das Gebot war erfolgreich, das als letztes vor dem Erlöschen der Talgkerze ausgerufen wurde („regular candle auctions“). Der Wertpapierhandel erlebte im 18. Jahrhundert einen wahren Aufschwung. Das Jonathan´s Coffee House war während der South Sea Bubble „the great resort of the speculators“, wie es Charles Knight im 6. Kapitel seines Buches über London (1844) schrieb.

Im Mittelpunkt der South Sea Bubble stand die im Jahr 1711 gegründete Südsee-Kompanie. Sie hatte ein Monopol auf den Handel mit weiten Teilen Südamerikas. In diesen Regionen kontrollierten noch die Spanier und Portugiesen den Handel.  Am 22. August 1720 führte die South Sea Company ihr viertes öffentliches Aktienangebot durch. Die Spekulationsmanie übersah, dass die Aktien der South Sea Company bereits Wochen zuvor mit 1.050 Pfund ihren Höchststand erreicht hatten. Die Südseeblase von 1720 war der größte Finanzcrash Londons.

In der Spekulationsmanie in den 20er Jahre des 18. Jahrhunderts (South Sea Bubble) wurden über 190 neue Aktiengesellschaften gegründet. 

Auf den Straßen Londons sang man folgendes Lied „A South-Sea-Ballad“: „Then stars and garters did appear / Among the meaner rabble; / To buy and sell, to see and hear / The Jews and Gentiles squabble. / The greatest ladies thither came, / and plied in chariots daily, / or pwaned their jewels for a sum / to venture in the Alley.“

Über das Maklergewerbe schrieb der Verfasser von Robinson Crusoe, Daniel Defoe:

„ein Gewerbe, das sich auf Betrug gründet (…) und von Trick, Betrug, Täuschung, Fälschungen, Fälschungen und allen Arten von Wahnvorstellungen genährt wird“ („a Trade founded in Fraud (…) and nourished by Trick, Cheat, Wheedle, Forgeries, Falshoods, and all sorts of Delusions“ Daniel Defoe, „The Anatomy of Exchange Alley“ (1719)

In den Jahren um die Jahrhundertwende von 1700 ereigneten sich in London zahlreiche wirtschaftshistorische Weichenstellungen: Eröffnung des Lloyd´s Coffee-House (1688) oder die Gründung der Bank of England (1694).

Zu großer Berühmtheit gelangte das Kaffeehaus von Edward Lloyd (1648-1713), dem „coffee-Man“, wie er in London genannt wurde. In dem im Jahr 1687 in der Nähe der Docks eröffneten Kaffeehaus trafen sich Kaufleute, Schiffsbesatzungen und Reeder. Vier Jahre später zog er in die Lombard Street Nr. 16, gegenüber der Royal Exchange und im Herzen des Händlerviertels, um. Im „Hauptquartier der Schiffsversicherer“ war die Kerzenauktion sehr beliebt. Immer mehr Börsenmakler nahmen daran teil und täglich standen Aktien und Anteile zum Verkauf – mit ihrem finanziellen Einsatz sollten die Risiken im Bereich der Schiffsfahrt abgedeckt werden. 

London – Erinnerungstafeln u.a. für Lloyd´s Coffeehouse (Fotos:  © Tobias Hof)