Auf Biegen und Brechen zur Designikone

Der Kaffeehausstuhl (Fotos: © Thonet) mit seinen schlichten Holzbeinen, seinem charakteristischen Sitzgitter und seinem massiv gebogenen Rahmen ist Designobjekt und Kunstwerk zugleich. Der deutsche Schreiner Michael Thonet erfand und entwarf diese Designlegende in Wien – von hier startete ab 1859 die Erfolgsgeschichte dieser Eleganz auf vier Beinen.

Der Original-Kaffeehausstuhl Nr. 14 – heute wird dieser im Thonet-Katalog unter der Nr. 214 geführt – gehört in Wien genauso zum Interieur eines jeden Kaffeehauses wie der Kellner im schwarzen Anzug, die Marmor-Bistrotische oder die Messinglampen oder die Mehlspeise. 

Für das stundenlange Sitzen zum Reflektieren, Diskutieren und Argumentieren war ein bequemer Kaffeehausstuhl nötig. Den Klassiker unter den Stühlen entwarf der Deutsche Michael Thonet. Seit 1830 tüftelte Thonet an einer neuen Herstellungsmethode für Stühle. Sein Ziel war es, Holz mittels einer neuen Technik zu biegen. Thonet experimentierte lange, um schließlich ein Verfahren zu entwickeln, durch das massive Buchenholzstäbe unter Einwirkung von Dampf, Druck und Wasser gebogen werden konnten – letztlich markierte die Erfindung dieser Biegetechnik den Übergang vom Handwerk zur Serienfertigung. Thonets Erfindung legte den Grundstein zur industriellen Möbelfertigung. Der Stuhl Nr. 14 hatte ursprünglich den Namen „Konsumstuhl“, und war der erste Stuhl, der nicht mehr geleimt, sondern geschraubt wurde. Das Revolutionäre war, dass der Stuhl komplett in seine Einzelteile zerlegbar war. 

Er bestand aus sechs einzelnen Modulen: geflochtene Sitzfläche, die Rückenlehne mit den Hinterbeinen, zwei Vorderbeinen und noch zwei Verstärkungselementen plus zehn Schrauben. Weiteres Erfolgsrezept neben der Bauweise: Wie kein anderer Stuhl, steht der Konsumstuhl für eine neue Eleganz und Leichtigkeit im Möbeldesign.

Der Thonet-Stuhl revolutionierte das Sitzen des einfachen Volkes, das bislang nur auf einfachen Hockern oder auf so genannten Stabellen (auch Brettstuhl) Platz nehmen konnte. Thonets Traum war die Entwicklung des „klassenlosen“ Stuhls. Der Verkaufspreis lag bei drei österreichischen Gulden – dies entsprach in etwa dem Tageslohn eines Handwerkers. Mit seinem Bugholzstuhl Nr. 14 ging Thonets Traum, einen „klassenlosen Stuhl“ zu entwickeln, in Erfüllung. Denn die Kunst des Holzbiegens war preiswerter als das aufwändige Drechseln und der mühseligen Schichtlaminierung.

Der Beginn der Erfolgsgeschichte

Den Grundstein für den Erfolg des Stuhls Nr. 14 wurde jedoch bereits Jahre vorher gelegt. 

Die Kaffeesiederin Anna Daum – sie hatte im Jahr 1829 das heruntergekommene Cafe Milani mit ihrem Mann übernommen – hatte im Jahr 1850 gerade ihr eigenes Kaffeehaus Cafè Daum am Wiener Kohlmarkt eröffnet. 

Zeichnung des Kaffeehauses Daum in Wien

Es fehlte nur noch eine Inneneinrichtung. Deshalb besuchte sie noch im selben Jahr eine Ausstellung des Niederösterreichischen Gewerbevereins. Der Verein war von Thonets „privilegierter Methode (Holz) auf eine überraschende Weise zu biegen“, so in einem Vortrag am 7. November 1849 formuliert, begeistert und ermöglichte dem Deutschen seine Holzmöbel auszustellen. Als Anna Daum durch die Ausstellung schlenderte, fiel ihr Blick auf einen zierlichen, von Thonet ausgestellten Bugholzstuhl. Die Rückenlehne war verschnörkelt und erinnerte an zwei ineinander verbundene Schnecken.

 Die Sitzfläche, was zur damaligen Zeit sehr ungewöhnlich war, bestand aus Korbgeflecht. Es war Liebe auf den ersten Blick. Daum bestellte sogleich mehrere Exemplare des ausgestellten Stuhls Nr. 4 aus Mahagoni – der Vorläufer des berühmten Kaffeehausstuhls Nr. 14 aus Buchenholz. Das Kaffeehaus von Anna Daum lag unweit der Hofburg und zu ihrer Stammkundschaft zählten Dichter, Maler und Journalisten. Ansonsten war es das Stammkaffeehaus der Soldaten – für seinen Kaffeepunsch und seine zahlreichen Zeitungen berühmt. Daums Kaffeehaus bekam wegen des anwesenden Militärs auch bald den Spitznamen „Wallensteins Lager“. Das Cafè war mit Spiegeln, Malereien und reichen Draperien prunkvoll ausgestattet. Diese Umgebung war für den Stuhl von Thonet eine perfekte Bühne. Der nächste Großauftrag ließ nicht lange auf sich warten. Das Hotel „Zur Königin von England“ in Pest (Buda-Pest) orderten 400 Stühle.

Die Einzelteile des Kaffeestuhles Thonet 14

Die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte hin zum Exportschlager

Allein bis zum Jahr 1930 wurde der Kaffeehausstuhl Nr. 14 mehr als 50 Millionen Mal verkauft. Vor allem seine einfache Bauweise – er bestand lediglich aus sechs Einzelteilen und einer Handvoll Schrauben – machte ihn zum Exportschlager, weil er leicht versendet und zusammengebaut werden konnte. Die Lobeshymnen von Designern oder Architekten füllen Bücher. So schrieb der österreichische Architekt Adolf Loos 1895: „Als ich in Amerika war, begriff ich, dass der Thonetstuhl der modernste Stuhl ist, den es gibt“. Sein schweizerischer Kollege, der Architekt Le Corbusier, ergänzte: „Noch nie ist Besseres an Eleganz der Konzeption, Exaktheit der Ausführung und Zweckmäßigkeit geschaffen worden.“

 

Foto- und Bildnachweise: © Thonet